14Robert Rössle
19.08.1876 in Augsburg –
21.11.1956 in Berlin
Robert Rössle gilt als bedeutender deutscher Pathologe des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Seine wissenschaftliche Lebensleistung ist vielfach geehrt worden. Heute wird er aber vor allem wegen seiner Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus kritisch gesehen.
Robert Rössle kam am 19. August 1876 in Augsburg zur Welt. Ab 1895 studierte er Medizin in München, Kiel und Straßburg; 1900 promovierte er in München. Danach kehrte er zurück nach Kiel, wo er am Pathologischen Institut tätig war, ab 1904 als Privatdozent für Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie. 1906 wechselte er wieder an das Pathologische Institut in München, das er im Jahr 1909 nach dem Tod von Otto von Bollinger als Professor für Pathologie leitete. Zwischen 1911 und 1921 übernahm er das Ordinariat für Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie an der Universität Jena, im Anschluss und bis 1929 an der Universität Basel.
1929 erhielt er den Ruf auf den Lehrstuhl für Pathologie an die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Hier blieb er als Direktor des Instituts für Pathologie der Charité bis zu seiner Emeritierung 1948. Zwischen 1932 und 1942 war er Mitglied im Kuratorium des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Hirnforschung in Berlin-Buch. Robert Rössle war kein Mitglied der NSDAP. Deshalb konnte er nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges weiterhin an der Humboldt-Universität zu Berlin lehren.
Wie weit Rössles opportunistische Anpassung im Nationalsozialismus ging und wie sehr er Profiteur des Systems war, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abschließend bewertet werden. Bekannt ist, dass sich das Institut für Pathologie unter seiner Führung an die politischen Bedingungen anpasste und dass Rössle die Auflösung von Abteilungen nutzte, um seinen Einfluss zu steigern. Sein autoritärer und machtorientierter Führungsstil war zur damaligen Zeit üblich; auch bei bekennenden Gegnern des Nationalsozialismus. Zu letzteren kann Rössle keinesfalls gezählt werden.
Wie viele seiner Zeitgenossen hat er sich nie öffentlich gegen die Vertreibung und Verfolgung der eigenen Kolleg*innen , der deutschen Jüdinnen und Juden, aus-gesprochen oder engagiert. Im Gegenteil, setzte er den Erlass der NS-Regierung von 1933 um, alle Personen jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft aus öffentlichen Einrichtungen zu entlassen. Rössle selber bezeichnete seine Haltung zum faschistischen System in Befragungen durch die Alliierten nach 1945 als „ablehnend“. Tatsächlich wurden im Rahmen der bisher angestellten Nachforschungen keine Belege oder Dokumente gefunden, in denen Rössle sich zur Machtergreifung oder später zur Politik der Nationalsozialisten ergeben oder gar begeistert äußerte, wie es viele seiner Kolleg*innen taten. Nachgewiesen ist auch, dass sich Rössle für verfolgte Kolleg*innen einsetzte, die unter die NS-Rassegesetze fielen.
In seiner wissenschaftlichen Arbeit befasste sich Rössle zunächst vor allem mit Fragen der Tumorpathologie und mit Entzündungsprozessen, später mit Fragen des Wachstums, der Konstitutionslehre und des Alterns. Bekannt wurde er auch durch seine Arbeiten über Fragen der Allergie, die er als krankhafte Steigerung an sich normaler Vorgänge auf zellulärer Ebene ansah. Er prägte auch den Begriff der „Pathergie“ für krankhaft erhöhte Empfindlichkeiten eines Organismus gegenüber unterschwelligen äußeren Reizen. Nach ihm ist das Rössle-Syndrom benannt; es bedeutet das Fehlen weiblicher Keimzellen in Ovarien durch eine Veränderung in Geschlechtschromosomen.
Nach dem Kriegsende 1945 verblieb Rössle in Berlin und bemühte sich um die Reorganisation des Pathologischen Instituts und den Aufbau der medizinisch-biologischen Institute in Buch. So war er Mitglied im Gründungsrat des am 25. Juli 1947 in Buch neu gegründeten Instituts für Medizin und Biologie der Deutschen Akademie der Wissenschaften. Um den Aufbau von Wissenschaft und Klinik auf dem Campus Berlin-Buch erwarb sich Robert Rössle große Verdienste. Er starb 1956 in Berlin.
Dieser kurze Text kann die Rolle von Robert Rössle in der Zeit des Nationalsozialismus nicht angemessen wiedergeben. Eine ausführlichere Fassung finden Sie unter www.berlin.de/museum-pankow/ als PDF.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Rössle in seinem Wirken von 1933 bis 1945 durch zum Teil opportunistische Anpassung an das nationalsozialistische Regime Schuld auf sich geladen hat. Rössle war kein Widerstandkämpfer und kein Held. Er hat Fehler gemacht und Dinge verantwortet oder zugelassen, die wir heute verurteilen. Die Person Robert Rössle kann und soll uns daran erinnern und mahnen, dass es zwischen Wissenschaft und Barbarei keine unüberschreitbare Grenze gibt, sondern eine Übergangszone, in die Forschung und Medizin sehr leicht hineingeraten oder anderen den Weg in die Barbarei bahnen können.
Gerhard Thieme, Bronze, 1960